Texte

Von Pflanzenstücken und Menschenpaaren

Draußen, auf der Verladebühne einer Lagerhalle, neben – und über einander gestapelt zentnerschwere Holzkolosse. Drinnen, die Werkstatt von Susanne Auslender. Geruch von Holz. Holz, wohin das Auge schaut: zu Klötzen zerstückelt, in Keile zersägt, zu Scheiten gespalten, Holzstaub in der Luft, der Fußboden spiegelglatt vom abgesunkenen Sägemehl. Tische mit vielfachen Werkzeugen, Dosen, Töpfen, Flaschen, Pinseln, Stiften, Teller mit Keksen, eine Thermosflasche, Sessel, Stühle, ein ausgeleiertes Sofa, ein schlanker Ofen zum Verbrennen von Holz, elektrische Leitungen und – die Kettensäge. Dazwischen verstaubte ältere Skulpturen und jüngste Variationen zum Thema „Menschenpaar“.

Nein, sie arbeitet nicht mit Aktmodellen, macht keine Skizzen, liebäugelt nicht mit fotografischen Vorlagen, entwirft keine maßstabgetreuen Modelle, mag Blumen nicht als Anschauungsmaterial. Allerhöchstens verweist ein vergilbtes Poster auf florale Neugier. „Ich stelle Beziehungen zwischen Menschen dar, einfache Geschichten ihres Zusammenlebens,“ sagt die Bildhauerin in heiterer Nüchternheit. Einfach bloss nackt sind viele ihrer Figuren, eher fleischig und schwerfällig begründet, denn athletisch und muskulös getrimmt. Mann und Frau in lässiger Distanz zueinander, akrobatisch verkeilt, erotisch lasziv, nie zwingend obzön (…)

Stumm und starr schauen sich zwei „Königskinder“(2000) an. Sie können nicht zusammen kommen. Gewaltig strömen Leidenschaften zwischen ihnen. Zu tief ist welcher Abgrund auch immer. Wenn „Schattenboxer“(2004) auf hohen Podesten Rücken an Rücken kämpfen, kann es keinen Frontalangriff geben. Der Sinn dieser sportlichen Veranstaltung bleibt ironisch im Dunkeln.

Befreit von historischen und theologischen Missverständnissen setzt Susanne Auslender mit ihrer „Adam und Eva“-Schöpfung von 2004 einen anderen, einen neuen ikonografischen Akzent. Eingebettet in die tages- und jahreszeitlichen Metamorphosen des Neu-Isenburger Bansaparks, bleibt das berühmt-berüchtigte Paar dem öffentlichen Puplikum ausgeliefert. Das paradiesische Ambiente ist alltäglich und naturhaft. Weit und breit kein Baum mit verführerischen Äpfeln. Keine Schlange kriecht mephistophelisch über den Weg. Ein nackter Mann hat ein Stelldichein mit einer nackten Frau. Eva mag zuerst in der Lichtung gewesen sein und räkelt wollüstig ihren üppigen Leib. Adam kam später hinzu und harrt, einen Blumenstrauss in der linken, klassisch kontrapostierend am Waldrand. Keine Endzeitstimmung. Einfach nur ein viel versprechender, schöner Sommertag.

Auch für das „Große Paar“ von 2004 gilt klassische Parallelität: der anschmiegsamen Kurve des Frauenkörpers antwortet die nachdrängende Form der männlichen Gestalt. Jedes zu starke Ausfahren der Glieder ist vom Kopf zurückgerufen. Alles Gewicht scheint im elastischen Auf- und Niederschwingen der Leiber bewahrt. Last und Entlastung, Anspannen und Ausruhen spielen wirkungsvoll ineinander. Im Zusammen von Körper und Luft, von Vorstoß und Rückzug formt sich eine Räumlichkeit, deren Aus- und Eindehnung an den Hoch- und Tiefgang des “ Großen Paares“ gekoppelt ist.(…)

Energisch geht Susanne Auslender auch ihre „Blumenstücke“ an. Sie arbeitet malerisch, d.h. sie projeziert ihre Vorstellung in den Holzstamm, geht ihn von außen nach innen mit der Kettensäge an, lichtet die Kompaktheit, schafft transparente Reliefräume, ordnet in ihnen florales Leben. (…) Stängel, Blätter, Knospen und Blüten sind miteinander verflochten. Im Gedränge saftiger Richtungsachsen beanspruchen sie kreatürliches Volumen und provozieren ekstatische Spannung im abgegrenzten Raum. m. Ein ursprünglicher Widersinn bringt die hölzernen Pflanzen zum Schwingen, schiebt ihre farbigen Leiber pantomimisch auseinander, schwitzt ihren Kräfteüberschuss aus.

Welche mänadischen Kräfte zwingen Susanne Auslender zu dieser bildnerischen Schwerstarbeit? Wie arbeitet sie? “ Ich mag Holz, aber die normale Beitel-Arbeit geht mir zu langsam“ erklärt sie. Und greift, um die Ungeduld ihres Herzens zu beruhigen, zur Kettensäge, “ ich brauche den harten Widerstand beim Arbeiten.“

Im inneren Visier die bildliche Vorstellung, die Kettensäge fest in beiden Händen, tastet sie den Holzstamm ab, reißt die Rinde herunter, schält Span um Span ein amorphes Bild heraus. Seine endgültige Erscheinung ist im formlosen Stoff leibhaftig vorhanden und muss erkennbar frei gelegt werden. Erst wenn imaginierte und reale Gestalt identisch sind, legt die Bildhauerin ihr Werkzeug zur Seite.

Mühelos findet sie die Balance zwischen anatomischem Gesetz und körperhaftem Volumen, löst den materiellen Widerspruch zwischen holziger Natur und gefühltem Fleisch, bewältigt komplizierte Überschneidungen und Unterhöhlungen, kratzt, raspelt, schabt und schmirgelt in die plastische Haut haptische Nuancen, die zum Einfühlen und Abtasten reizen. Durch Lasuren wird die Skulptur farbig gefasst.

Nicht nachzuweisen ist die Seelenerregung, aus der heraus Susanne Auslender arbeitet. Die Logik der Sprache versagt, wenn das Perpetuum Mobile ihrer Energie beschrieben werden soll. Spätestens hier zeigt sich, dass schöpferische Kräfte ihre Ursprünge jenseits unseres Vorstellungsvermögens haben.

Dr. Elisabeth Krimmel 
aus dem Katalog „SUSANNE AUSLENDER – HOLZSKULPTUREN / WOODEN SCULPTURES“

Zur Ausstellung „Realität und Sichtbarkeit“

Zwei Modi der Realität durchdringen einander in den Skulpturen von Susanne Auslender. Zunächst verweisen die Holzobjekte in Form und Farbe eindeutig auf Dinge der äußeren Realität – auf Menschen oder Pflanzen –, andererseits sind die Skulpturen so gefertigt, dass die Spuren ihrer Bearbeitung wie auch das Material selbst deutlich sichtbar sind und illusionistische Details keinerlei Berücksichtigung finden . Bei der Betrachtung von Auslenders Skulpturen ist also deren Verweisungscharakter eben so gegenwärtig wie ihr Objektstatus. Es gelingt Auslender, ihre Figuren gleichermaßen als Zeichen für etwas auszugeben wie auch die Materialität dieser Zeichenträger heraus zu stellen, so dass beide Modi einander gleichrangig sind. Vielmehr kommen auf diese Weise zusätzliche Aspekte in Betracht, die über das eigentlich Sichtbare hinausgehen. Schaut man sich etwa die Blumenskulpturen von Susanne Auslender an, wird dieser verwirrende Tatbestand überdeutlich. Farbig lasierte Blumenstängel befinden sich in Gruppen arrangiert auf viereckigen Socken, die ebenfalls Teil der Skulptur sind. Die einzelnen Blumensorten werden dabei klar erkenntlich, so dass wir Gladiolen, Rosen oder Tulpen eindeutig ausmachen können. Auf der anderen Seite ist die Form der Blumen dennoch so stilisiert, dass man fast versucht wäre, die Skulpturen als abstrakt zu bezeichnen, wenn Sie uns nicht so anschaulich zeigen würden, worauf sie verweisen. Denn ganz so weit führt Auslender den Prozess der Vereinfachung der Form nicht: zwar geht es ihr nicht um die wirklichkeitsgetreue Darstellung von Blumen, doch formt sie deren Gestalt nur gerade so weit aus, dass sie zu erkennen sind, ohne illusionistisch zu wirken. Dies liegt nicht zuletzt an der Art der Bearbeitung: einzig mit der Kettensäge schält Ausländer die Skulpturen aus jeweils nur einem einzigen Block heraus. Vor allem sind es die formalen Relationen innerhalb ihrer Skulpturen, die den eigentlichen Inhalt ihrer Arbeit ausmachen, wobei den Zwischenräumen zentrale Bedeutung zukommt. Filigran und doch solide, bewegt und zugleich statisch wirken die Stängel, die durch Blätter verbunden einander Halt geben. Ihre Blütenköpfe recken sie nach oben, sie sind einander zugeneigt oder abgewandt, so dass sich am Ende das Bild einer spannungsreichen Beziehung ergibt, dass die Blumen lediglich verkörpern. So gesehen haben die Blumenskulpturen viel gemein mit den menschlichen Figuren, die den Hauptbestandteil von Susanne Auslenders Oeuvre ausmachen. Auch hier geht es um den Aufbau von bewegten und bewegenden Verhältnissen – mittels subtiler Ausformulierungen, die gerade so deutlich wie nötig sind, werden Annahme und Ablehnung, Beherrschung und Verlockung, Streit und Vertrauen zwischen den Figuren evoziert. Die Körperhaltung der überwiegend unbekleideten Männer und Frauen sowie deren Positionierung im Raum vermitteln uns solche und andere emotionale Belange, ohne dass Auslender Gefahr läuft in expressionistisches Pathos zu verfallen. Mimik oder Gebärden sind also keinesfalls dazu geschaffen mögliche Gefühlslagen vom Inneren nach außen treten zu lassen. Susanne Auslender lässt uns als Betrachter ein gehöriges Stück Freiheit, denn wir werden von den menschlichen Figuren nicht ungewollt zu bestimmten Emotionen hingerissen, sondern können uns in aller Seelenruhe der Betrachtung dessen widmen, was zwischen ihnen vorgeht.

Susanne Buckesfeld
aus dem Katalog zur Ausstellung „Realität und Sichtbarkeit“, Galerie Epikur, Wuppertal